Philosophie: Zwielichtskinder

Weil die Herkunft der Zwielichtskinder im Dunkel der Geschichte verborgen ist, lässt sich nicht mehr abschätzen, ob sie sich von den Ordnungsmachern abgespalten haben oder diese von ihnen oder ob sie vielleicht eine eigenständige Schule sind.

Wie die Ordnungsmacher glauben auch diese Philosophen an ein Weltprinzip, welches sie aber nicht „Kosmos“, sondern „Sein“ nennen. Dieses Sein integriert alles, was es gibt. Es integriert auch alles, was gedacht, gesagt usw. werden kann, mit anderen Worten: Es gibt nichts, was nicht irgendwie zum Sein gehören würde.

Sie gelten als Erfinder des logischen Denkens, doch ihre Aufzeichnungen sind häufig paradox und verquer.

Das Sein ist für die Zwielichtskinder ein so universelles Prinzip, dass es alle Eigenschaften auf einmal besitzt: Es ist immer, überall und die Mehrzahl in der Einzahl. Normalerweise kann es von sterblichen Personen nicht überblickt, verstanden oder beschrieben werden. Um sich dem Sein anzunähern, muss man einen Zustand erreichen, der einen von den anderen Sterblichen abhebt, einen sozusagen gottähnlichen Zustand. Klugerweise sehen sich die Zwielichtskinder vor, den Ausdruck „Gott“ wirklich zu gebrauchen.

So versetzen sich die Zwielichtskinder häufig mithilfe von Meditationen und Drogen in Verzückungszustände, in denen sie eine andere Perspektive auf die Welt zu erlangen hoffen. Einigen von ihnen gelingt dies, und sie können diese universelle Perspektive bisweilen auch länger halten. Gerüchte besagen, dass sie in diesem Zustand erstaunliche Fähigkeiten aufweisen: So können sie z. B. angeben, was an anderen Orten geschieht, oder die verborgenen Ursachen für Probleme erkennen. So geht zumindest das Gerücht, und das ist es auch, was die Philosophen von sich selbst behaupten – wissenschaftlich anerkannte Ereignisse, in denen genau das eingetroffen ist, gibt es freilich nicht.

Böse Zungen behaupten, die Zwielichtskinder seinen eine drogensüchtige Randgruppe, ihre Mitglieder sähe man häufig an den Straßenrändern der Slums ihren Rausch ausschlafen. Dies mag auf wenige Zwielichtskinder zutreffen, der größte Teil führt jedoch ein gewöhnliches Leben und ist häufig in magischen und medizinischen Berufen tätig.

Den Namen „Zwielichtskinder“ haben die Philosophen wegen ihrer Lehre erhalten. Ihre Lehre über das allumfassende Sein schließt aus, dass Gegenteile in der Welt existieren. Aus diesem Grund pflegen sie zu sagen, dass Hell und Dunkel, Leicht und Schwer usw. – mit anderen Worten, sämtliche Sinneswahrnehmungen – nur Illusionen seien. Daher heißt es über sie „Wer Licht und Dunkelheit nicht anerkennt, lebt im ewigen Zwielicht.“

Die Lehre der Zwielichtskinder widerspricht der der Seelenlosen noch mehr als die der Ordnungsmacher, aber im Gegensatz zu diesen haben diese friedlichen Seiensphilosophen niemals den Streit mit den Seelenlosen gesucht. Im Gegenteil, da sie sich im Besitz der einzigen Wahrheit wähnen, sind ihnen die anderen Philosophenschulen im höchsten Maße gleichgültig. Sie haben höchstens Mitleid mit den armen Sterblichen, die den Illusionen der Realität erlegen sind, ohne jemals das Sein betrachtet zu haben.

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